Bewusst nicht verzeihen, weil wir nicht verzeihen wollen

Allein der Titel dieses podcast macht deutlich, dass es sich hier nicht um eine sanfte Anreihung von Meditationsübungen handelt. Nein – ich nähere mich dem Thema absichtlich mit einer gewissen Radikalität.

Manchmal wollen wir „einfach“ nicht verzeihen, auch wenn spirituelle, religiöse oder gesellschaftliche Protokolle etwas anderes vorgeben. Selbst bei eher herzorientierten Menschen, die sich mit der Vergebung leichttun, geschieht der Prozess des Verzeihens häufig aus einer unbewussten Motivation heraus: nämlich der, sich im Anschluss besser zu fühlen, wieder dem Ideal eines guten Menschen zu entsprechen oder schlichtweg weiter gehen zu können.

Versteht mich nicht falsch: es ist wichtig, über den eigenen Schatten springen zu können und die Erfahrung der Vergebung zu machen. Das eigentliche Ziel – wirklich loslassen können – wird aber nicht erreicht, wenn das innere „Nein“ weiterhin dominiert. Deshalb plädiere ich heute für eine andere Herangehensweise an die komplexe Thematik des Verzeihens.

Unangenehme Gefühle: Groll, Wut, Hass und Kälte

Was den Zustand des „Nicht-Verzeihen-Wollens“ so eindrücklich macht, sind die damit verbundenen Gefühle von Groll, Wut, Hass und Kälte. Sie gehören zum menschlichen Gefühlsrepertoire, auch wenn uns das nicht immer gefällt. Selbst wenn es ungewöhnlich klingen mag: Wer nicht verzeihen möchte, damit aber innerlich zufrieden ist, hat absolut keinen Grund dies zu ändern! Herausfordernd wird es, wenn wir nicht verzeihen „wollen“, darunter aber leiden. An dieser Stelle möchte ich ansetzen.

Wenn wir innerlich ein starkes Nein zum Verzeihen spüren, helfen auch keine spirituellen Dogmen. Kein Rosenkranz-Beten, nicht das Blumen in den Ganges streuen, keine fernöstlichen Meditationen oder New Age-Techniken.

Alle diese Instrumente haben zwar ihre Berechtigung, können aber nicht wirken, solange das innere „Ich will nicht verzeihen“ in uns wirkt.

Blick in die eigene Unterwelt

Ich möchte dazu ermutigen, dem Gefühl des „Nicht Verzeihen Wollens“ ernsthaft gegenüberzutreten. Nicht mit dem pädagogischen Hintergedanken des Loslassens, sondern mit der Bereitschaft, diesen Zustand und die damit verbundenen Emotionen regelrecht zu feiern. Fakt ist: Vorschnelles Verzeihen geschieht häufig eher aus dem Wunsch, unangenehme Gefühle loszuwerden, als aus der Motivation einer echten Vergebung heraus. Der ungeliebte Anteil des „Nicht Verzeihen Wollens“ bleibt damit ungehört und wird dabei immer aggressiver.

Warum frönen wir dem Zustand des Mürrisch-Seins, des Hasses und Groll nicht einfach so lange, bis er sich selbst erschöpft? Dabei gelten nur zwei zentrale Voraussetzungen: Wir schaden dabei niemand anderem und wir lenken uns nicht ab, sondern bleiben im Gefühl. Wir erlauben uns bewusst wütend zu sein, sogar bewusst zu hassen. Dazu brauchen wir ein klares Setting, einen Raum, in dem dieser Zustand bewusst ausagiert werden darf – mit Händen, Füßen und mit Worten.

Der erste Vorteil dieses zeitlich begrenzten Vorgehens ist: Wenn Wut und Hass ihren sicheren Raum haben, wirken sie weniger unbewusst im Alltag. Wir haben endlich die Möglichkeit der energetischen Entladung, was zu einem Rückgang von Blockaden und vielleicht sogar gesundheitlichen Problemen führt.

Der zweite Vorteil ist die Tatsache, dass wir durch diesen sicheren Raum anderen Menschen weniger schaden. Wir übertragen unseren immer mitschwingenden Groll nicht mehr auf neue Situationen oder Menschen.

Den wichtigsten Vorteil sehe ich in folgendem Wirkprinzip: Wir tuen endlich das, was wir eigentlich schon die ganze Zeit wollen! Wenn wir uns dem Zustand des „Nicht Verzeihen Wollens“ in einem sicheren Rahmen ganz hingeben, erfüllt sich in unserem Ego etwas Wichtiges: Es beginnt zu jubeln und fühlt sich in tiefem Maße befriedigt. Und in der Folge geschieht etwas sehr Spannendes – der Kick des Hasses und der Wut ebben langsam ab, weil wir etwas in uns zu Ende bringen und tatsächlich „leben“ konnten. Kein Mensch mutiert durch ein solches Ritual zu einem bösen Menschen. Vielmehr leben wir unsere Täterschaft nach dem vorausgehenden Schmerz in einem guten Rahmen aktiv aus und schaffen dadurch den Rahmen für etwas Neues.

Werden unsere wütenden und hassenden Anteile ausreichend gewürdigt, haben auch die positiveren inneren Stimmen mehr Platz. Vergebung entsteht dann wie von allein, sie muss nicht „gemacht“ werden. An dieser Stelle – aber nicht früher – entfalten Vergebungs- und andere spirituelle Techniken Sinn.

Im nächsten podcast möchte ich dir eine kleine Anleitung zur Mini-Therapie geben und wünsche dir bereits heute viel Spaß dabei!

Erkennen deiner inneren Stimme

Im Podcast #076 geht es darum bewusst nicht zu verzeihen.

  • warum das „Nicht-Verzeihen“ in uns so wirkmächtig ist
  • dass wir auf dem Weg zur Vergebung keine emotionale Abkürzung nehmen können
  • wieso das Ausagieren negativer Gefühle in einem geschützten Rahmen unendlich heilsam ist.
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